Neudefinition von Strukturpolitik nötig: Standortkonferenz Rheinisches Revier diskutiert Entwicklungschancen für die Region
Moderne und proaktive Industriepolitik als Antwort auf einen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung
Die Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE setzt sich angesichts eines möglichen Auslaufens aus der Braunkohleverstromung mit den Folgen für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen auseinander. Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen lud die Stiftung zu einer sogenannten Standortkonferenz ein, um über das Thema Strukturwandel und die Arbeit der Kommission „Strukturwandel, Wachstum und Beschäftigung“ zu diskutieren. Das Motto der Veranstaltungen: Nur Strukturpolitik reicht nicht!
Über 150 Teilnehmer konnte die Geschäftsführerin der Stiftung, Dr. Kajsa Borgnäs, in Inden-Altdorf begrüßen. Sie unterstrich in ihrer Eröffnung die strukturpolitischen Stärken des Rheinisches Reviers. Die leistungsfähige Symbiose der Stromwirtschaft mit der energieintensiven Industrie müsse als Ausgangspunkt für einen erfolgreichen Strukturwandel genommen werden. Diese Symbiose ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für die Region und ihre Unternehmen: „Die bestehenden strukturpolitischen Instrumentarien und etwaige Einmalhilfen reichen für eine erfolgreiche Transformation nicht aus. Sie sichern nicht langfristig die Stromversorgung für die energieintensive Industrie und sie schaffen keine neuen industriellen Arbeitsplätze. Die funktionierende Einheit zwischen Stromwirtschaft und energieintensiven Industrie ist damit gefährdet. Dagegen braucht es eine proaktive und langfristig angelegte Struktur- und Industriepolitik“, erklärte Dr. Kajsa Borgnäs.
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE, ging mit Blick auf die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ und deren Zwischenbericht auf die Rolle Nordrhein-Westfalen als Innovationsregion ein. Mit dem Auslaufen der Braunkohleverstromung, der nun ggfs. politisch beschleunigt wird, brauche es bessere Ideen und Innovationen, um zu einer CO2-armen aber leistungsfähigen Wirtschaft zu kommen. Nur der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien reiche nicht, um Energiewirtschaft und Industrie in der Region zu erhalten und entwickeln. Die Industrie und Energiewirtschaft dürften nicht nur als Emittenten von CO2 gesehen werden, sondern als potentielle Treiber des erforderlichen Wandels.
Der Wirtschaftsminister Nordrhein-Westfalens, Prof. Dr. Pinkwart, stellte in seiner Rede klar, dass es keine Strukturbrüche durch politisch bedingte Entscheidungen geben dürfe. Im Gegensatz zu anderen Sektoren, werde die Energiewirtschaft Ihren Klimaschutzbeitrag für 2020 leisten. Deshalb brauche die Energiewende für einen Erfolg mehr als nur Ausstiege aus der fossilen Stromerzeugung. So müsse insbesondere der Netzausbau energischer vorangetrieben werden. Das Rheinische Revier müsse auf seine Stärken, wie der Energiewirtschaft, aufbauen. Ob die stoffliche Nutzung von CO2 oder die Batteriezellenproduktion, NRW biete Potenzial und Knowhow. Deshalb müsse man auch schnell in großtechnische Projekte einsteigen.
Martin Huth, Managing Partner bei Triton stellte die Strategien und Sichtweise von privaten Investoren in Bezug auf den Strukturwandel dar. Anhand von drei Fallbeispielen zeigte er, welche Rolle Private Equity beim Strukturwandel der Region spielen könnte. Er betonte, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit der beteiligten Akteure aus Politik und Industrie sowie langfristige Stabilität bezüglich der wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmen sei.
Christopfer Kuplent von der Bank of America Merrill Lynch verwies auf die Bedeutung der Risikobewertung für Investoren besonders bei Eigenkapital. Er stellte einen Kriterienkatalog von Standortfaktoren vor, die für Investoren hoher Bedeutung haben. Rohstoffverfügbarkeit, Verkehrsinfrastrukturen, Wissenschaftszentren und vorhandenes Fachkräftepotential seien ganz entscheidende Faktoren bei Investitionsentscheidungen. Wechselkurse, Rechtssicherheit, staatliche Abgaben und Subventionen seien auch von Bedeutung. Er gab abschließend folgende Empfehlungen Richtung Politik: Investoren bräuchten langfristige sichere Rahmenbedingungen. Dabei spiele der gesellschaftliche Konsens über die wirtschaftliche sowie energiepolitische Entwicklung eine entscheidende Rolle.
Prof. Dr. Michael Gramm, Leiter des Büros für regionale Strukturentwicklung, arbeitete die Abhängigkeiten und Verflechtungen einer Region von den dominierenden Wirtschaftsstrukturen heraus. Strukturwandel müsse immer von den Arbeitsplätzen aus gedacht werden. Beim Strukturwandel müssten die verantwortlichen Akteure daher darauf achten, dass bestehende Strukturen nicht einfach wegbrächen, bevor neue Strukturen entstünden. Sonst drohe ein Kaskadeneffekt, in dem weitere Strukturen durch Wegfall der dominierenden Strukturen wegbrächen. Prof. Dr. Bernhard Hoffschmidt vom DLR Institut für Solarforschung referierte über das Potenzial Kohlekraftwerke in Wärmespeicherkraftwerke umzuwandeln: Die Wärmespeicherwerke werden mit EE gespeist. Sie könnten einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten. Zudem könnte diese Technologie in bestehende Infrastrukturen integriert werden. Frank Drewes, Geschäftsführer Brainergy Park Jülich, stellte die Entwicklungsstrategien des Brainergy Park Jülich vor. Im Mittelpunkt stehe die Erprobung von energiewirtschaftlichen Innovationen unter Reallaborbedingungen. Aktuell sollten dazu notwendige zusätzliche Gewerbeflächen entwickelt werden.
In der abschließenden Diskussion wurde von allen Seiten für den anstehenden Strukturwandel verlässliche und langfristige Rahmenbedingen von der Politik eingefordert, um den Transformationsprozess erfolgreich umzusetzen. Michael Vassiliadis forderte in seinem Schusswort alle beteiligten auf, gemeinsam für den Erfolg einer Energiewende zu arbeiten, die Industrie und Innovationskraft miteinbezieht. Für einen Erfolg sei zudem eine Blickerweiterung über die nationalen Grenzen hinaus erforderlich. Dann würde schnell deutlich: Nur Staaten mit einer ausreichend hohen ökonomischen Kraft, technologischer Leistungsfähigkeit und einem auskömmlichen Sozialstaat sind in der Lage dem Klimawandel zu bewältigen.