Rechts, männlich sucht

Die AfD ist vor allem bei jungen Leuten so beliebt. Warum?
Ein soziologischer Erklärungsversuch.

Von Wilhelm Heitmeyer

Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben um die 30 Prozent der 16- bis 24-Jährigen die AfD gewählt und so dazu beigetragen, dass die AfD zur stärksten Partei in Ostdeutschland geworden ist. Sucht man nach Erklärungen für diesen Erfolg, kann man zunächst damit beginnen, womit er sich nicht erklären lässt. Besonders beliebt ist in Medien und Politik die Verwendung des Begriffes „Rechtspopulismus“, der aufgrund seiner Beliebigkeit nichts Klärendes hergibt.

Der Begriff des „Rechtsextremismus“ ist indes ungenau. Klassischer Rechtsextremismus ist immer mit Gewaltbereitschaft verbunden, die AfD hält sich von offener Gewaltorientierung fern. Der wieder ausgegrabene Begriff des „Faschismus“ ist ebenfalls nicht hilfreich. Er kann nicht erfassen, was die AfD für ihre Wähler attraktiv macht. Alle drei Begriffe dienten einer Strategie der Abschreckung. Die ist offenkundig gescheitert – und mit ihr diese drei Begriffe als gängige Erklärungsversuche. Sie können das eigentlich Neue der AfD und ihre besondere Anziehungskraft nicht einfangen. Das Neue und die Erfolgsspur der AfD liegt im Angebot ihres „autoritären Nationalradikalismus“.

Das „Autoritäre“ zielt auf das angebotene Gesellschaftsmodell. Der Fokus liegt auf der Wiederbelebung traditioneller Kultur und Lebensweise, Frauen- und Familienbilder, traditioneller Hierarchien. Dazu gehört das Versprechen ethnischer Homogenität und der Ausgrenzung kultureller und sexueller Vielfalt. Der autoritäre Staat wird mit der Ausweitung von Kontrolle und Strafverschärfungen aufgerufen. Das „Nationale“ in der explizit nationalistischen Ausprägung betont die Überlegenheitsattitüde deutscher Kultur. Sie drückt sich als rabiate Identitätspolitik und Ausgrenzungsstrategie aus.

Das „Deutsch-Sein“ wird zum Identitätsanker in Krisenzeiten. Zur Neudeutung deutscher Geschichte gehört die Feier von Nationalstolz und die Relativierung der NS-Verbrechen. Wirtschafts- und sozialpolitisch wird die Formel „Deutsche zuerst“ propagiert. Außenpolitisch gehört zur nationalistischen Ausrichtung die angestrebte Nähe zu „starken“, also autoritär-nationalistischen Regimen. Das „Radikale“ zeigt sich in den aggressiven Kommunikations- und Mobilisierungsstilen, die durchgängig mit Feindbildern und „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ besetzt sind, um der rabiaten Propagierung einer ethnischen Homogenität der „echten Deutschen“ zu dienen.

Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der Wahlerfolg der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern erklären? Wenn sich insbesondere junge Männer von dieser Partei angesprochen fühlen, liegt das auch daran, dass das autoritäre, nationalistische und radikale Angebot der AfD idealtypisch einem Habitus entspricht, der sich durch Stärke, Dominanz und Überlegenheit definiert. Dieser Habitus wird umso attraktiver, je stärker Unterlegenheitsgefühle und Verunsicherungen spürbar werden.

Wenn junge Frauen zum Beispiel bessere Noten, Abschlüsse und berufliche Perspektiven haben, kann das von jungen Männern mit schlechteren Perspektiven als Zurücksetzung und Verunsicherung erlebt werden. Auch die sozialgeografischen Strukturen in Ostdeutschland mit der Dominanz von kleinen Gemeinden und Kleinstädten, mit der erheblichen Abwanderung gut ausgebildeter junger Frauen, zumal aus strukturschwachen Gebieten, sind günstig für die AfD. Dadurch veränderten sich unter anderem die zahlenmäßigen Verhältnisse junger Frauen und Männer, mit Folgen für die männlichen Chancen auf Bekanntschafts-, Liebes- und Eheverhältnisse. Selbst an solchen Stellen setzt die Attraktivität des autoritären Nationalradikalismus an. Prototypisch dafür sind die Social-Media-Videos des AfD-Ex-Spitzenmanns Maximilian Krah: „Echte Männer sind rechts – dann klappt das auch mit der Freundin“, so seine politische Ermunterung verunsicherter junger Männer.

Ein weiterer Faktor ist die intergenerationale Weitergabe demütigender Erfahrungen in der „Systemumstellung“ der 1990er-Jahre. Zu erinnern ist zum Beispiel daran, dass die politischen Machteliten der Bundesrepublik kein Interesse daran hatten, zu verstehen, wie die DDR-Gesellschaft mit ihren sozialen Netzen und Strukturen funktioniert hat. Die so entstandenen „leeren Institutionen“ ermöglichten dem klassischen, gewalttätigen Rechtsextremismus der „Baseballschlägerjahre“ sozialräumliche Machtausübungen. Sie wirken bis heute nach, bis zur Weitergabe der Gesinnung der damals jungen, gewaltbereiten Männer an ihre Kinder.

Ebenfalls von großer Wirksamkeit sind bis heute die negativen Erfahrungen des durchschlagenden Umstellungsparadigmas bei der staatlichen Wiedervereinigung. Aus „Mehr Sicherheit und weniger Freiheit“ (in der DDR) wurde schlagartig „Mehr Freiheit und weniger Sicherheit“ (in der Bundesrepublik). Das überforderte insbesondere jene, die eine autoritäre Sozialisation durchlebt hatten. In den entsicherten Krisenjahrzehnten seit 2000 hat sich der Wegfall sozialer Absicherung massiv verstärkt.

Seither sind die politischen und ökonomischen Instrumente zur Einhegung sozioökonomischer Krisen und der Abfederung ihrer Folgen für die Einzelnen nicht mehr sofort und uneingeschränkt verfügbar. Die gewohnten und sicherheitsspendenden Zustände vor der Krise sind nicht wiederherstellbar. Besonders deutlich geworden ist dies in der Corona-Krise. Bei einem Teil der Bevölkerung entstehen, ähnlich wie nach den Umbrüchen der 1990er-Jahre, Wahrnehmungen, Erfahrungen und Ängste von Kontrollverlusten. Damit gehen Bedrängnisse eines Verlustes von Selbstwirksamkeitserfahrungen einher.

Hier setzt der autoritäre Nationalradikalismus mit seinem Versprechen zur Wiederherstellung von Kontrolle an: „Wir holen uns dieses Land zurück“ – mit der autoritären Politik einer national-homogenen Gesellschaft und einem aggressiven Staat. Für jene, die sich durch die Repräsentationslücken der etablierten Parteien (vor allem im ländlichen Raum) nicht wahrgenommen fühlen, lautet die entsprechende Parole: „Wir machen euch wieder sichtbar.“ Zentral sind die lange Zeit von den etablierten Parteien „unbesetzten“ Themenfelder von Migration in der Kombination mit Kriminalität. Die jüngsten Anpassungen der demokratischen Parteien haben das nicht entkräftet, sondern im Gegenteil bestärkt.

AfD-Anhänger könne sich im Gefühl, „auf der richtigen Seite“ zu stehen, bestätigt fühlen. Damit verbunden ist der rabiate Kulturkampf, dessen Kern die ausgrenzende Identitätspolitik ist. Die Diskursverschiebungen durch Ausweitung des Sagbaren mit eingängig geprägten Begriffen („Bevölkerungsaustausch“, „Remigration“) stimuliert auch die Provokationslust. Das macht sie insbesondere für verunsicherte junge Männer attraktiv. Die Kommunikationsstrategie der Emotionalisierung von Problemen als Kontrollverluste setzt die wissenschaftlich belegte Anfälligkeit für Verschwörungsideologien frei.

Vermeintlich „Schuldige“ zu identifizieren und öffentlich zu attackieren, kann entlastend und identitätsstabilisierend wirken. Die insbesondere von Björn Höcke gepflegte Rhetorik vom Untergang des deutschen Volkes spricht junge Männer mit heroischen Bedürfnissen an. So kann ein Notwehrrecht konstruiert werden, das scheinbar die aggressive Demonstration von Stärke legitimiert – unter Umständen bis hin zur Gewaltausübung.

Die Erfolge der AfD in der jungen Wählerschaft in Ostdeutschland bilden nur einen Ausschnitt von deutschen Zuständen. Gleichwohl muss darauf entschiedene Aufmerksamkeit verwendet werden, da wir es mit einem längerfristigen Prozess zu tun haben, der bereits seit Beginn der entsicherten Krisenjahrzehnte, also etwa seit der Jahrhundertwende, eingesetzt hat. Es ist ein Prozess der Demokratieentleerung: Der Apparat funktioniert, das Vertrauen erodiert. Das ist ein idealer Nährboden für die weitere Ausbreitung des autoritären Nationalradikalismus.

Wilhelm Heitmeyer, 79, ist einer der renommiertesten Gewalt- und Rechtsextremismusforscher der Bundesrepublik. Er ist Senior-Professor am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Zuletzt hat er veröffentlicht: „Rechte Bedrohungsallianzen“ (Suhrkamp).

„Echte Männer sind
rechts – dann klappt das auch
mit der Freundin.“

Wir sind mittendrin in
einem Prozess der
Demokratieentleerung


Veröffentlicht 01.10.2024 | SZ Süddeutsche Zeitung | Autor: Wilhelm Heitmeyer | Feuilleton | München Seite 9, Nord Seite 9, Bayern Seite 9 

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