Herbstempfang 2023
Alter Gegensatz – neues Thema für die Stiftung
IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und die kolumbianische Botschafterin Yadir Salazar Mejia im Talk: „Unsere Transformation auf dem Rücken der Kolleg*innen im globalen Süden?“
Der Rahmen war neu, das Thema eigentlich nicht. Erstmals organisierte die Stiftung Arbeit und Umwelt einen Herbstempfang. Am 10. Oktober stand das Gespräch miteinander in einem angenehmen Ambiente ohne Tagesordnung im Mittelpunkt. Gesprächsgegenstände gab es so viele, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ein Thema allerdings haben dann die Diskussionspartner*innen eines Talks für alle zusätzlich auf die ungeschriebene Agenda gesetzt.
Dass die Erbschaften aus dem Kolonialismus und die Abhängigkeiten aus neokolonialistischen Verhältnissen zwischen den Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika, die vor allem Rohstofflieferanten für die Industriestaaten waren – und teils noch sind – zu einem mit der Zeit immer drängenderen Thema werden für die Fragen, die sich mit der Transformation unserer Industrien hin zur Treibhausgasneutralität stellen, das konnten wir schon seit Längerem wissen.
Um die Brisanz dieses allein schon aus menschenrechtlichen Gründen wichtigen Themas für die deutsche und europäische Debatte um Klimaschutz und Transformation unserer Industrien konkret zu machen, haben Stiftung und IGBCE dies am Beispiel der Beziehungen Deutschlands zu Kolumbien diskutiert.
„Kolumbien ist zu einem der wichtigsten Lieferanten von Steinkohle für die deutsche Industrie geworden, weil russische Kohle nach dem Überfall auf die Ukraine sanktioniert, nicht mehr bestellt und nicht geliefert wird. Und zugleich hat die kolumbianische Regierung den Ausstieg aus der Kohle aus guten Gründen beschlossen, weil sie nicht mehr von den Einnahmen aus dem Export fossiler Rohstoffe abhängig bleiben, sondern eine eigene Transformation organisieren und Wertschöpfung durch Reindustrialisierung aufbauen will. Was aber bedeutet das für unsere Kolleg*innen in Kolumbien?“
Damit umriss Michael Vassiliadis den Konflikt und stellte die Frage nach den Aufgaben, die nicht nur die IGBCE, sondern Deutschland, der Staat, die Wirtschaft, die Gesellschaft auf ihrem „to do-Zettel“ haben, um dazu beizutragen, dass wir unseren Übergang hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft nicht auf dem Rücken der Menschen im sog. „globalen Süden“ organisieren.
Wenig verwunderlich, dass die kolumbianische Botschafterin darauf bestand, dass Partnerschaften, auch und gerade ökonomische, auf Augenhöhe stattfinden müssen. Es gehe ihrem Land nicht darum, die fossilen Rohstoffe Steinkohle und Erdöl, deren Export wesentliche Einnahmequellen darstellen, durch einen neuen, aus erneuerbaren Quellen gewonnenen Rohstoff wie grünen Wasserstoff zu ersetzen. Es gehe um eine Reindustrialisierung des Landes, um den Aufbau neuer und zusätzlicher Wertschöpfung und um Handelsbeziehungen, die auch für Kolumbien diversifiziert sind. Die Rolle der Gewerkschaften in Kolumbien zu stärken, spiele dabei in der Vorstellung der Regierung in dem lateinamerikanischen Land eine wichtige Rolle.
Erstmals spielen Gewerkschaften auch eine Rolle in den vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) organisierten Projekten und Partnerschaften. Bundesministerin Schulze beschrieb diese Änderung der Perspektive ihres Ministeriums, ohne zu verhehlen, dass dies eine politische Aufgabe sei, die nicht ohne Widerstände umzusetzen sei. Der sichtbarste Ausdruck dieser veränderten Politik des BMZ ist die Finanzierung von „Union-Scouts“ durch die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Bislang wurde die Arbeit sogenannter „Business-Scouts“ finanziert. Diese Personen sind vornehmlich für die IHKs in den Partnerländern Deutschlands tätig und unterstützen z.B. die Arbeit der Außenhandelskammern, also der in den jeweiligen Ländern tätigen deutschen Unternehmen. Mit den „Union-Scouts“ wird nun, wenn auch in noch kleinem Maßstab, die Perspektive der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften eingebracht.
Der Talk dauerte 30 Minuten und wurde während des Herbstempfangs sehr aufmerksam verfolgt. Das Thema ist damit aber erst angerissen und wird nun zu einem der neuen Projekte der Stiftung für Arbeit und Umwelt.