Fachkonferenz „Auf dem Weg zu nachhaltigen Lieferketten“
(Berlin) Für die weltweite menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen „muss es jetzt einen gesetzlichen Rahmen geben. Selbstverpflichtungen haben nicht geliefert“. Das sagte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am 5. März bei einer Fachkonferenz in Berlin. Unter der Überschrift „Auf dem Weg zu nachhaltigen Lieferketten – Herausforderungen und Instrumente einer gerechten Globalisierung“ hatte die Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin Fachleute aus Parteien, Gewerkschaften, Regierung und der Wirtschaft eingeladen.
Vassiliadis, zugleich Präsident des internationalen Gewerkschaftsverbands IndustriALL Europe, strich dabei die Bedeutung globaler Rahmenvereinbarungen zur sozialen Verantwortung von Unternehmen heraus, wie sie von internationalen Gewerkschaftsverbänden mit weltweiten Konzernen abgeschlossen werden. Dafür müsse ein Lieferkettengesetz Handlungsoptionen offenlassen, „damit Vereinbarungen auch den Gewerkschaften anderswo helfen“.
Der IG-BCE-Vorsitzende bezog damit Stellung in einer kontroversen Debatte um ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in den Lieferketten internationaler Unternehmen. Drei Tage zuvor hatte die Bundesregierung die Ergebnisse einer ersten Umfrage im Rahmen des sogenannten NAP-Monitorings unter 460 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten veröffentlicht. Danach kommen etwa 80 Prozent der Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht in den globalen Lieferketten nicht nach, berichtete die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Dr. Bärbel Kofler, bei der Fachkonferenz. Entscheidend seien jetzt die Ergebnisse einer zweiten Befragungsrunde, die Anfang März startete. Die Frage sei dann nicht mehr, ob, sondern wie ein Lieferkettengesetz ausgestaltet werde. Eckpunkte dafür wollen die Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung noch bevor Mitte März vorlegen.
Auf Erfahrungen mit bereits bestehenden Gesetzen zur weltweiten sozialen Verantwortung von Unternehmen in anderen Ländern verwies der Rechtsanwalt Robert Grabosch von der Kanzlei Schweizer Legal: So müssten in den Niederlanden Unternehmen demnächst darüber berichten, ob es in ihren Lieferketten einen Verdacht auf Kinderarbeit gebe und was sie im Zweifelsfall dagegen tun. Das am weiteste gehende Gesetz gelte seit 2017 in Frankreich mit dem Schwerpunkt auf Gesundheit und Sicherheit, Umwelt und Menschenrechten. Allerdings lege es nicht eindeutig fest, ob es nur für unmittelbare Zulieferer oder auch für Subunternehmen gelte; seine Ausgestaltung bleibe weitgehend der Zivilgesellschaft überlassen.
Dr. Frank Hoffer stellte einen Zusammenschluss von 21 Textilunternehmen mit dem internationalen Gewerkschaftsverband IndustriALL vor, deren Geschäftsführer er ist: „Action, Collaboration, Transformation“ setze sich in einer von Niedriglohn und schlechten Arbeitsbedingungen geprägten Industrie für existenzsichernde Löhne ein. Die Konkurrenz zwischen Niedriglohnländern sei in der stark globalisierten Bekleidungsindustrie hoch, sagte Hoffer; durch den Markt allein werde sich das nicht ändern. Es brauche einen internationalen Mindestlohn und eine Handelspolitik der Europäischen Union, die die zollfreie Einfuhr von Textilien mit der Einhaltung von Menschenrechten verknüpft.
Wie sich einzelne Unternehmen für die nachhaltige Veränderung von Lieferketten bereits engagieren, wurde in der abschließenden Podiumsdiskussion zu dieser Frage deutlich. Julia Thimm, seit 2019 für die Menschenrechtsarbeit in den globalen Lieferketten bei Tchibo verantwortlich, berichtete von den Schwierigkeiten, in ausländischen Unternehmen das Thema Gewerkschaftsfreiheit ins Gespräch zu bringen. Das aber verlange die Globale Rahmenvereinbarung mit IndustriALL, die Tchibo 2011 unterzeichnet hat. „Je weiter wir gehen, desto mehr Wettbewerbsnachteile fürchten wir“, sagte Thimm. „Deshalb brauchen wir jetzt ein Gesetz“.
Welche Möglichkeiten globale Rahmenvereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmen eröffnen, beschrieb Albert Kruft, der Sekretär des europäischen Betriebsrats von Solvay, am Beispiel des belgischen Chemiekonzerns. Solvay habe sich darin auf die Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgelegt, aber auch auf Arbeitssicherheit, sozialen Dialog und Rechte von Betriebsräten. Daran müssen sich auch die etwa tausend größten direkten Zulieferer halten. Ein Beschwerdemechanismus und die Überprüfung durch Audits in ausgewählten Ländern zweimal im Jahr helfe bei der Durchsetzung. „In Südkorea hat ein Unternehmen nach unserem Eingreifen davon Abstand genommen, nur Mitglieder einer ihm genehmen Gewerkschaft einzustellen“, berichtete Kruft.
Matthias Wachter, der in der Diskussion den Bundesverband der Deutschen Industrie vertrat, kritisierte hingegen die Geschwindigkeit, mit der ein Gesetz auf den Weg gebracht werden soll. Bei den Unternehmen komme es nicht gut an, wenn dafür schon vor der Durchführung der zweiten Befragung von Unternehmen Eckpunkte vorgelegt würden. Viel eher solle man „Instrumente der Entwicklungspolitik nutzen“, um soziale Standards in Entwicklungsländern durchzusetzen.
Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, erinnerte daran, dass ein Gesetz nur für den Fall vorbereitet werde, dass weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen sich freiwillig zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht in ihren Lieferketten bekennen sollten. „Der Prozess hat auch einen didaktischen Auftrag gegenüber den Unternehmen“, sagte Böhning. Es gehe darum, eine „Grund-Sorgfaltspflicht“ einzuführen. Ziel eines Gesetzes sei, „die Rechte von Betroffenen zu stärken und den Unternehmen Sicherheit zu bieten“.
Der Grad an Deckung durch Globale Rahmenvereinbarungen ist ab heute das Kriterium sozialer Verantwortung, hob Michael Vassiliadis in seinem Vortrag hervor. Dazu brauche es sowohl intensivere Debatten im DGB als auch ein neues Rollenverständnis bei der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen. „Gewerkschaften sind nicht Kampagnen-, sondern Verhandlungs-Organisationen“, betonte Vassiliadis. „Wir brauchen eine Kultur, in der man kritisch bleibt, aber auch anerkennt, was man erreicht hat.“
Sigrid Thomsen für die Stiftung Arbeit und Umwelt