Mit diesen Themen beschäftigten sich Betriebsrätinnen und Betriebsräte von Automobilzulieferern in einem Workshop, den die Abteilung Industriegruppen & Branchen der IGBCE gemeinsam mit der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE am 20./21. Februar in Kassel durchführte.
Fahrzeughersteller vor mehrfachen Herausforderungen
Im ersten Themenblock setzten sich die Teilnehmer mit den Strategien der Fahrzeughersteller (OEM) und deren Auswirkungen auf die Autozulieferer auseinander. Christian Brunkhorst vom Hauptvorstand der IG Metall führte dazu aus, dass die deutschen und europäischen OEM sich nicht nur mit verschärften klima- und umweltpolitischen Regulierungen auseinander zu setzen haben. Globalisierung und Digitalisierung erzwingen ebenfalls neue Strategien. Die Digitalisierung fordert die Unternehmen und die Beschäftigten dabei in zweifacher Sicht heraus. Einerseits müssen die Unternehmen die neuen informations- und kommunikationstechnologischen Möglichkeiten in ihre Geschäftsmodelle und Fahrzeuge integrieren (z.B. (halb-)autonomes Fahren). Andererseits durchdringt die Digitalisierung die Produktion selbst. Beide Entwicklungen führen zu hohen Innovations- und vor allem Investitionsbedarfen. Gleichzeitig dürften sie erhebliche quantitative und qualitative Folgen für die Beschäftigung in der Automobilindustrie mit sich bringen.
Europäische Fahrzeughersteller lange Zeit mit Defensivstrategie
Auf die europäische umwelt- und klimapolitische Regulierung hatten deutsche und europäische Automobilunternehmen lange Zeit defensiv und sogar mit manipulativen Methoden (Dieselgate) reagiert. Aktuell antworten sie mit einem Strategieschwenk hin zu batterieelektrischen Antrieben (reine Batteriefahrzeuge und Hybridfahrzeuge). Asiatische Anbieter setzen derzeit auch auf Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Beide Strategien dürften dazu führen, dass die ab 2021 geltenden CO2-Grenzwerte der EU von 95 g CO2/km für die Fahrzeugflotten und die weitere Reduzierung dieses Grenzwertes von 30 % bis 2030 realisiert werden kann.
Aktuell bevorzugen Kunden beim Kauf von Neufahrzeugen verstärkt Benziner. Die Produktion eines Dieselmotors erfordert indes mehr Arbeitsplätze als die Herstellung eines Benzinmotors. Diese Entwicklung und der Trend zu batterieelektrischen Antrieben mit geringerem Komplexitäts- und Wertschöpfungsgrad dürften auf mittlere Sicht Arbeitsplätze bei den OEM und Zulieferern infrage stellen.
Strukturwandel des „Clusters Fahrzeugindustrie“ politisch und gewerkschaftlich gestalten
Insgesamt werde das industrielle Cluster Automobilindustrie durch die mehrdimensionalen Herausforderungen einen merklichen Strukturwandel durchlaufen. Um diesen Wandel zu gestalten, hat die IG Metall ein dezidiertes Programm entwickelt. Zum einen will es durch einzelbetriebliche Analysen die Veränderungsbedarfe und darauf aufbauende Maßnahmen bestimmen. Zum anderen möchte die IG Metall gleichzeitig durch gewerkschaftliche Einflussnahme sicherstellen, dass der durch veränderte Antriebs- und Fahrzeugsysteme sowie neue Mobilitätskonzepte ausgelöste betriebliche und regionale Strukturwandel politisch flankiert wird.
Automobilzulieferer – Reaktionen auf den sich abzeichnenden Wandel uneinheitlich
Darauffolgend wurde im Workshop in 4 Arbeitsgruppen durch die Betriebsrätinnen und Betriebsräte der IGBCE erörtert, ob die von der IGBCE organisierten Zulieferer-Unternehmen bereits strategisch auf die zu erwartenden Veränderungen reagieren. Das sich aus der Diskussion ergebende Bild war uneinheitlich. Insbesondere bei den kleinen unabhängigen Unternehmen wurde eine große Abhängigkeit von den Vorgaben der OEM deutlich, die durch unzureichende strategische und finanzielle Ressourcen verschärft wird. Anders sieht es bei den Betrieben aus, die Teil von großen Automobilzulieferer-Konzernen sind. In diesen Konzernen wird strategisch und aktiv auf den sich abzeichnenden Wandel reagiert. Dies schließt aber nicht aus, dass auch hier einzelne Standorte infrage gestellt werden könnten.
Zulieferer versuchen Abhängigkeiten zu verringern
Hervorzuheben ist, dass es in der Mehrzahl, der auf dem Workshop vertretenden Unternehmen zumindest Überlegungen gibt, wie man die „Abhängigkeit“ von der Automobilindustrie verringern könnte. Alle anwesenden Betriebsrätinnen und Betriebsräte betonten, dass die Herausforderungen nicht allein durch eine Anpassung der Produktportfolios bewältigt werden könnten. Um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu sichern, sei mindestens gleichgewichtig, die Qualifikation und Motivation der Beschäftigten zu erhalten und ausreichend Fachkräfte zu gewinnen.
Technologische Konzepte für Klimaschutz im Verkehr
Der zweite Tag des Workshops beschäftigte sich mit der Frage, mit welchen politischen und technologischen Konzepten die klimapolitischen Ziele für den Verkehrssektor erreicht werden können. Im Mittelpunkt standen strombasierte Kraftstoffe (E-Fuels). Unter E-Fuels oder Power to X (PtX) werden dabei aus erneuerbarem Strom mittels elektrolytischen und weiteren Produktionsverfahren hergestellte flüssige und gasförmige Energieträger verstanden, die zur Erzeugung von Wärme sowie als Kraftstoffe oder chemische Grundstoffe eingesetzt werden können. Für den Bereich der Verbrennungsmotoren wird dabei auch der Begriff „Synthetische Kraftstoffe“ (Power-to-Methane, Power-to-Liquids) verwendet.
Patrick Schmidt von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH München stellte in seiner Präsentation „Synthetische Kraftstoffe als wesentliches Element der Verkehrswende“ die Ergebnisse einer Studie der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik (LBST) und der Deutschen Energie-Agentur (dena) für den Verband der Automobilindustrie (VDA) vor . Der Bericht kommt zum Ergebnis, dass E-Fuels bereits notwendig sind, um die aktuellen EU-Klimaschutzziele von -30 % Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 2005 im Verkehr zu erreichen. Eine weitergehende Treibhausgasreduktion von bis 95 % bis 2050, wie sie im Klimaschutzplan der Bundesregierung vorgesehen, ist aus heutiger Sicht und hoher Personen- und Güter-Verkehrsnachfrage ohne E-Fuels aus erneuerbarem Strom und CO2-Quellen völlig undenkbar.
Bestimmte Verkehre selbst langfristig nicht oder nur schwer zu elektrifizieren
Der Bedarf an strombasierten Kraftstoffen entsteht einerseits aus den in allen EU-Szenarien erwarteten Zuwachs an Verkehrsleistungen, insbesondere des Güter- und Warenverkehrs. Andererseits gibt es Verkehrsbereiche wie Teile des Schwerlastverkehrs sowie des Schiffs- und Flugverkehrs, die selbst mittel- und langfristig nur schwer zu elektrifizieren sind. Die in der Untersuchung vorgenommenen Szenarien zeigen, dass selbst in einem stark batterieelektrifizierten Verkehr mehr als 70 % der EU-Kraftstoffnachfrage 2050 auf E-Fuels entfallen dürften.
Stromproduktion aus erneuerbaren Energien muss stark gesteigert werden
Um die benötigten Mengen an strombasierten Kraftstoffen herzustellen, muss die Produktion von auf erneuerbarer Basis hergestellten Strom enorm gesteigert werden. Um alleine den gesamten EU-Verkehrssektor (einschließlich internationale Verkehre von/nach EU) im Jahr 2050 mit klimaneutralen Kraftstoffen zu versorgen, muss je nach Szenario die heutige EU-Stromproduktion um den Faktor 1,7 bis 3 gesteigert werden. Das technische und räumliche Potenzial, die erneuerbare Stromproduktion in der EU zu steigern, ist prinzipiell vorhanden. Zudem könnte ein größerer Teil des Bedarfs an E-Kraftstoffen durch Importe gedeckt werden. Der Import dürfte auch einen positiven Effekt auf die Kosten von strombasierten Kraftstoffen haben, da die EE-Stromkosten, die für Kosten von E-Fuels entscheidend sind, in bestimmten Regionen durch günstige Standortfaktoren (Wind, Sonne) niedriger sein dürften als vielen Gebieten Europas. Die Kosten für E-Fuels sind derzeit mit bis zu 4,50 € pro Liter Dieseläquivalent sehr hoch. Ein Zielkostenniveau von ca. 1 € pro Liter Dieseläquivalent erscheint mit Importen aus Regionen mit hohem Solar-/Wind-Angebot erreichbar.
Arbeitspapier „Synthetische Kraftstoffe“
Zum Abschluss des Workshops wurde ein Arbeitspapier „Synthetische Kraftstoffe“ der Industriegruppe Kautschuk der IGBCE vorgestellt und diskutiert. Die Mitglieder der Industriegruppe Kautschuk fordern in dem Arbeitspapier eine technologieoffene Gestaltung der Verkehrswende. Eine vorschnelle und einseitige Festlegung durch die Politik und deren Förderinstrumente auf batterieelektrische Antriebe wird als nicht zielführend angesehen. Die Industriegruppe Kautschuk sieht in synthetischen Kraftstoffen große Potenziale, Klimaschutz, ein leistungsfähiges Verkehrssystem sowie Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Einklang zu bringen. Das Arbeitspapier der Industriegruppe fordert deshalb die Forschung und Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen zu verstärken. Die Unterstützung muss vor allem helfen, die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen in großen industriellen Anlagen zu erproben und zu testen, um Kostensenkungs- und Lerneffekte für eine Markteinführung sicherzustellen.
Das Arbeitspapier der Industriegruppe Kautschuk „Synthetische Kraftstoffe“ kann hier abgerufen werden. Für weitere inhaltliche Fragen zum Workshop und zum Arbeitspapier stehen Werner Voß von der IGBCE und Tomas Nieber von der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE zur Verfügung.