Im Mai 2024 veröffentlicht die Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE ein Diskussionspapier in dem vor allem ökonomische Argumente eine Rolle spielen: Welche enorme wirtschaftliche Bedeutung hat die Europäische Union für Industrie, Arbeit, Wertschöpfung? Konsequenterweise lautet der Titel „Den Ast, auf dem wir sitzen…“ und zieht natürlich die Fortsetzung „…sollten wir tunlichst nicht abschneiden“ nach sich.
Es lässt sich nach wie vor eine große Diskrepanz feststellen. Wir wissen um die große Bedeutung der Europäischen Union. Gleichzeitig machen wir, als Bürger*innen eines ökonomisch starken Landes, vor allem die Rechnung auf: Was kommt für uns dabei heraus?
Vergessen wird die Vorbedingung: ohne einen auf gemeinsamen, teilweise mühsamen Ausgleich bedachten Konsens, gäbe es nichts mit ihr zu verdienen. Die Europäische Union ist, trotz aller Schwächen und häufig überkomplexen Prozessen, vor allem Eins: die bislang am längsten den Frieden zwischen ihren Mitgliedern sichernde politische Gemeinschaft. Spätestens seit dem 22. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, können auch die jüngeren Bürger*innen der EU-Mitgliedsstaaten wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist.
Diese Dimension ist Teil des Buches von Aleida Assmann „Der europäische Traum – Vier Lehren aus der Geschichte“. 2018 erschienen, hat es nichts an Aktualität verloren und öffnet den Erkenntnishorizont gerade jetzt, wenige Wochen vor den Europawahlen, enorm. Wer glaubt, hier würde nun eines der nicht wenigen gut gemeinten, in ihrer Wirkung allerdings doch sehr begrenzten „Wohlfühlbücher“ über das Friedensprojekt Europa vorgeschlagen, irrt. So positiv und einmalig die Europäische Union auch für Aleida Assmann ist, so klar benennt sie auch ihre Widersprüche. Ein Beispiel: „Im populären Selbstverständnis gilt Europa als Hort der Vernunft, der Freiheit und der Demokratie. Aus einer nicht-europäischen Perspektive erscheinen solche Deklamationen als Teil einer Europa-Ideologie, denn das zivilisierte Europa, das sich über Jahrhunderte als eine überlegene Herrenrasse empfand, benutzte dieses Selbstbild auch, um andere Menschen und Kulturen herabzusetzen. (…)“
Die Lektüre lohnt. Auch über den Wahltag hinaus.
Ihr Andrea Arcais