In Deutschland fehlen Arbeitskräfte, insbesondere auch Spezialist:innen und Expert:innen. Gerade qualifizierten Frauen stehen für berufliche Karrieren aktuell die Türen so offen wie noch nie. Warum aber löst sich der Gender Gap dann nicht in Luft auf?
Claudia Goldins Antwort: „Greedy work“. Sie zeigt in ihrem Buch das Problem und den Lösungsansatz dafür auf, wie er nicht besser von deutschen Gewerkschaften formuliert werden könnte: Die Organisation von Erwerbsarbeit muss in Bezug auf die zeitlichen Bedürfnisse der Beschäftigten optimiert werden, damit Vereinbarkeit von Beruf und Familie effektiv umsetzbar wird.
Die Ökonomin Claudia Goldin, der 2023 der Alfred-Nobel- Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen wurde, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Gleichberechtigung. In diesem Buch nimmt sie Frauen mit Collegeabschluss in den Blick und wertet empirische Erkenntnisse aus, um nachzuvollziehen, wie sich der US-amerikanische Arbeitsmarkt über das 20. Jahrhundert hinweg für Frauen verändert hat. Insgesamt und anhand vieler Beispiele beschreibt sie in dieser Gruppe Vorkämpferinnen, die mit Hilfe ihres Bildungserfolgs einen erfolgreichen Weg in die Berufstätigkeit fanden und auch für andere bereiteten.
Goldin zeichnet so ein detailliertes, reichhaltiges Bild der gesellschaftlichen Öffnung: Wie durch Erfindungen – Technik, die Frauen obliegende Hausarbeit drastisch erleichtert und verkürzt, effektive Verhütung u.a. – konkrete Möglichkeiten entstanden, dass sich Frauen über ihre häuslichen Aufgaben hinaus in die Berufstätigkeit entwickeln konnten. Die Dynamik hinter der „leisen Revolution“ erklärt sie durch ein mit den Möglichkeiten wachsendes Interesse der Menschen an gleichberechtigten Beziehungen.
Als Ökonomin schreibt sie aus der ökonomischen Perspektive, mit dem entsprechenden Fokus auf Einkommensunterschiede und Wertschöpfung. Für Nicht-Ökonomen weist sie noch einmal explizit darauf hin, dass die Wertschöpfung einer Gesellschaft eben nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt gleichzusetzen ist. Bei der Definition des Bruttoinlandsprodukts in den 1930er Jahren hatte der von der Regierung beauftragte Simon Kuznets aus pragmatischen Gründen der schwierigen Messbarkeit von Care-Arbeit diese nicht in sein Konzept der Berechnung der volkswirtschaftlichen Produktivität der USA mit einbezogen, obwohl er sich durchaus des hohen Beitrags von unbezahlter Arbeit von Frauen an der Wertschöpfung bewusst war.
Heute ist leider ein Rückschritt in der Entwicklung von Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt zu beobachten durch ein Phänomen, das Goldin als „gierige Arbeit“ („greedy work“) bezeichnet. Bestimmte hochqualifizierte Jobs verlangen von den Beschäftigten Überstunden, ständige Präsenz und Abrufbarkeit, sie werden jedoch deutlich besser bezahlt als Jobs mit einer besseren Work-Life-Balance. Das stellt insbesondere Familien mit zwei gut ausgebildeten Partner:innen vor das Dilemma, dass sie nicht mit der nötigen Zeit und Verlässlichkeit zu vereinbaren ist, die Kinderbetreuung oder Pflege verlangt. Vor diesem Hintergrund fällen viele eine rationale, aber folgenschwere Entscheidung: Eine Person steckt im Berufsleben zurück, um die Aufgaben zu übernehmen, während die andere aus finanziellen Gründen die gut bezahlte Karriere machen kann. Diese Entscheidung lässt sich jedoch für die Person, die sich beruflich einschränkt, nicht leicht wieder umkehren. Die Daten beziehen sich auf die USA, aber das Phänomen lässt sich weltweit beobachten. In Deutschland gibt es zwar das Recht auf Teilzeit, jedoch wirkt es sich im Nachhinein nachteilig auf die Entwicklungsmöglichkeiten aus, wenn Frauen wieder in Vollzeit arbeiten wollen, aber die Möglichkeit nicht besteht