Digitale Veranstaltung am 2. Mai 2022, 15–16:30 Uhr
Krisen-Resilienz in der Energiewende: Versorgungssicherheit und Dekarbonisierung – wie kriegen wir beides hin?
Im Rahmen der Energietage 2022 veranstaltete die Stiftung Arbeit und Umwelt ein digitales Fachgespräch zum Thema Krisen-Resilienz in der Energiewende. Die Veranstaltung beleuchtete die kurz-, mittel-, und langfristigen Herausforderungen für die Versorgungssicherheit in Deutschland. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die aktuelle Krise Hemmnis oder Katalysator für die Energiewende ist. Zu Gast waren die Referenten:
- Malte Lückert, Vorstandssekretär im Vorstandsbereich 2 Tarif-, Wirtschafts- und Branchenpolitik bei der IGBCE
- Georg Zachmann, Senior Fellow beim Thinktank Bruegel
- Casimir Lorenz, Principal bei Aurora Energy Research
- Tilman Schwencke, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Malte Harrendorf, Bereichsleiter Sektorenkopplung und Energiewende bei der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE.
Die Referenten hatten vier kurze Impulsvorträge vorbereitet. Zu Beginn legte der Kollege Malte Lückert dar, dass die IGBCE hinter den Sanktionsmaßnahmen der Bundesregierung steht und solidarisch mit der Ukraine ist. Er kritisierte, dass die Folgen eines Energieembargos in der Bevölkerung unterschätzt werde. Allgemein befürworte und unterstütze die IGBCE die Transformation der Industrie. Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Herausforderungen brauche es die Diversifizierung der Energieimporte, eine Evaluierung von Kraftwerksabschaltungen, mehr Einsparungen bei Erdgas und ein neues Strommarktdesign.
Dr. Casimir Lorenz legte in seinem Impulsvertrag den Fokus auf die kurzfristige Versorgungssicherheit und die unmittelbaren Folgen eines Gaslieferstopps. Kurzfristige Potenziale für ein Rückfahren der russischen Gasimporte sehe er einerseits in der Substitution von Gas und andererseits in der Erhöhung der Importe von Gas aus anderen Quellen. Aurora Energy Research rechne mit einer Versorgungslücke von zwei bis zehn Mrd. Kubikmeter. Eine teilweise Abschaltung der Industrie werde somit notwendig.
Dr. Georg Zachmann startete seinen Input mit der Feststellung, dass die russische Aggression in den kommenden Jahren dazu führe werde, dass Europa durch die Neuordnung des Welthandels ärmer werde. Er betonte, dass es ein politisches Erfordernis sei, kurzfristig auf russisches Gas zu verzichten. Strategisch müsse man Russland jetzt zeigen, dass Europa bereit ist, Nachteile in Kauf zu nehmen, um sich von der russischen Abhängigkeit zu lösen – auch im Hinblick auf künftige Partnerschaften. Georg Zachmann hob die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Lösung der Energiekrise auf europäischer Ebene mit dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität hervor. Als zukunftsfähiges Instrument sieht er Carbon Contracts for difference.
Tilman Schwencke erläuterte die vier Trends der Zukunft der Energiewirtschaft: Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung. Als fünften Trend sei seit dem 24. Februar die Diversifizierung hinzugekommen. Im Anschluss stellte er die Thesen des BDEW zur Energieversorgung der Zukunft vor.
- Die Erneuerbaren Energien stehen im Zentrum der Energieversorgung von morgen.
- Gasförmige Energieträger sind die Partner der Erneuerbaren Energien.
- Aus- und umgebaute Energie-Infrastrukturen bilden das Gerüst der klimaneutralen Energiewelt.
- Sektorengrenzen sind in der klimaneutralen Energiewelt so gut wie verschwunden.
Anschließend zeigte er die Möglichkeiten zur Reduktion und Substitution von russischen Energieimporten auf. In Bezug auf die aktuelle Krise sehe er große und vielfältige Herausforderungen für das Bundeswirtschaftsministerium.
In der anschließenden Diskussion erörterte Casimir Lorenz zunächst die Bedeutung von Effizienzsteigerungen in der Industrie. Preisobergrenzen für Energie seien dabei Fehlanreize und hemmten Innovationen. Georg Zachmann bekräftigte, dass langlaufende Verträge mit Haushaltskund*innen kontraproduktiv im Hinblick auf Energieeinsparungen seien und es hier mehr Anreize zum Sparen geben sollte. Zum Thema LNG machte Lorenz weiter deutlich, dass deutsche Terminals erst 2024 zum Einsatz kommen werden und es sicherlich kurzfristig darauf ankommen werde, welche Preise die Verbraucher*innen bereit seien zu zahlen.
Malte Lückert entgegnete, dass es kurzfristig weiterhin um die Verfügbarkeit von Gas gehen werde. Effizienzgewinne schätzte er im Angesicht der schon jetzt hohen Energiepreise als überschaubar ein, zumal es mittlerweile lange Lieferzeiten von neuen Anlagen gebe. Tilman Schwencke machte sich für einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien stark und betonte, dass es auch eine arbeitsmarktliche Dynamik geben könne, wenn die Fachkräfte entsprechend qualifiziert werden.
Im Lichte des russischen Angriffskriegs befand Georg Zachmann Biomasse als keinen guten Ersatz für Erdgas, weil es hier auch negative Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion geben werde. Die größten Effizienz- und Flexibilitätsgewinne sehe er in der europäischen Vernetzung. Anschließend ging Casimir Lorenz auf das Strommarktdesign ein. Ein Energy-Only-Markt bleibe aus seiner Sicht effizient, es brauche für flexible, klimaneutrale Erzeugung aber ein weiteres Finanzierungsinstrument. – das könnte eine Art von Kapazitätsmarkt sein. Man müsse in der Zukunft mehr auf eine Flexibilisierung der Nachfrage nach Energie setzen.
Zum Abschluss bat der Moderator Malte Harrendorf die Teilnehmer noch um kurze Statements zur Zukunft der Versorgungssicherheit.
Versorgungssicherheit bedeutet in der Zukunft,
Schwencke: „dass die erneuerbaren im Zentrum der Energieversorgung von morgen stehen.“
Lückert: „Sicherheit für den Industriestandort Deutschland.“
Lorenz: „einen starken Ausbau von Erneuerbaren in Kombination mit den richtigen Anreizen für flexible Nachfrage und Erzeugung.“
Zachmann: „dass wir den Wegfall jedes einzelnen Elementes im System überstehen können.“
Malte Harrendorf bedankte sich im Namen der Stiftung Arbeit und Umwelt für das konstruktive und interessante Fachgespräch. Dabei brachte er zum Ausdruck, dass die Stiftung auch in Zukunft die Diskussion um Versorgungssicherheit im Zuge der weiteren Dekarbonisierung aus industriegewerkschaftlicher Perspektive weiterführen und begleiten wird.