Am Freitag, 13. November 2015, läuft das Länderspiel Frankreich gegen Deutschland. In der 16. Spielminute ertönt ein Knall. Wenige Minuten später ein zweiter. Mannschaften und Publikum sind kurz irritiert, das Spiel geht weiter.
Zur gleichen Zeit fallen Schüsse in der Bar „Le Carillon“ und im Restaurant „Petit Cambodge“ in der Innenstadt. Wenig später stürmen bewaffnete Angreifer die Konzerthalle „Bataclan“.
Im September 2021 beginnt in Paris der Jahrhundertprozess, der ein nationales Trauma juristisch aufarbeiten, unterschiedliche Perspektiven abwägen und am Ende ein gerechtes Urteil fällen soll. Emmanuel Carrère beobachtet den Prozess und schreibt eine wöchentliche Kolumne für das französische Magazin L’Obs. Das Besondere ist, er tut dies nicht ausschließlich aus der Perspektive eines Gerichtsreporters, sondern auch aus der Perspektive der Zivilgesellschaft.
Wie entsteht Terrorismus? Warum ist passiert, was passiert ist? Wer waren die Opfer und die Täter? Wie gelingt es den Hinterbliebenen und Überlebenden weiterzumachen? Während das breite Publikum den Prozess durch die Medien verfolgt und viele ihr persönliches Urteil schon vor dem Urteilsspruch gefällt haben, schafft Carrère mit seinem Buch einen intimen Einblick in einen Prozess, der den Beteiligten viel abverlangt.
Ein Buch, das tief berührt und einen Perspektivwechsel schafft, der nachdenklich macht.
Verena Frank