Von Andrea Arcais, Geschäftsführer der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE
„Wenn wir nicht darauf achten, die Belegschaften mitzunehmen, dann wird uns die Transformation nicht gelingen.“
Diese Aussage hat in abgewandelten Formen mittlerweile eine steile Karriere hinter sich. Einerlei, ob sich die Diskussion um Klimaschutz dreht oder um die Transformation der Industrie, ob der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen gefordert wird oder andere Veränderungen anstehen: Es fehlt nirgends der Hinweis darauf, dass aber „die Belegschaften mitzunehmen seien.“ Es scheint sich mittlerweile um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu handeln, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „mitzunehmen“ seien. Diese Forderung, besser noch, diese Beschwörung ist sowohl von Vertretern von Unternehmensverbänden als auch von den Sprecherinnen und Sprechern der Umweltverbände zu vernehmen. Kirchen, Regierungsmitglieder, Oppositionsführer (Frauen führen derzeit keine Opposition, jedenfalls keine demokratische) oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fakultäten sind sich einig: Mitnehmen müssen wir die Belegschaften, soll es was werden mit Veränderungsprozessen.
Was aber, wenn sich Belegschaften gar nicht „mitnehmen lassen“ wollen?
Es mag kleinlich klingen und als Wortklauberei interpretiert werden. Ich bin mir bewusst darüber, dass mit dieser Formulierung die Einbeziehung der Beschäftigten in den sich rapide verschärfenden Transformationsprozess gemeint ist. Aber Sprache drückt aus, was gemeint ist, wenn an „Einbeziehung“ gedacht wird. Und „Mitnehmen“ meint etwas Anderes. Jemanden „mitnehmen“ bedeutet: Die Richtung ist vorgegeben, der Weg klar, die Adresse, wohin es geht, steht fest und „jemanden mitnehmen“ ist ein Akt von mehr oder weniger freundlicher „Unterstützung“. Das Bild, das sich aufdrängt, ist das folgende: Da steht jemand im Wald und sollte an die Hand genommen werden, um wieder hinaus zu finden. Die Frage aber stellt sich doch so: Welche und welcher Erwachsene lässt sich gerne (außer von der oder dem Liebsten) an die Hand nehmen und auf den „richtigen“ Weg führen?
Es geht um Rechte und um gleiche Augenhöhe, es geht um Mitbestimmung!
Hinter dem Bild vom „mitnehmen müssen oder wollen“ verbirgt sich, ob bewusst oder unbewusst eine paternalistische Haltung. Bezogen auf den komplexen und teilweise widersprüchlichen Prozess der Transformation unserer Industrie hin zur Treibhausgasneutralität, verbunden mit der weiteren Digitalisierung hat diese Haltung aber keine integrierende Wirkung gegenüber den Belegschaften. Im Gegenteil. Warum sollten sich die Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen aktiv an einem Prozess beteiligen, wenn es diesen gar nicht mehr zu gestalten gilt, sondern längst feststeht bzw. Andere offensichtlich allein entscheiden?
Es geht um etwas anderes als ums „Mitnehmen“. Es geht um die Möglichkeit mitzugestalten. Es geht darum, die eigenen Interessen in der Transformation zu vertreten, aber auch die in den Belegschaften vorhandenen Kenntnisse produktiv in die Transformation einbringen zu können. Es geht um Rechte und um gleiche Augenhöhe beim Aushandeln darüber, wie die Transformation in den Unternehmen, aber auch in der Gesellschaft organisiert wird. Denn im Ergebnis geht es konkret sowohl um Klimaschutz wie um den Erhalt und die Modernisierung der Industrie und der Arbeitsplätze. Das kann tatsächlich nur zusammen mit den Belegschaften erreicht werden. Aber nicht durch „mitnehmen“, sondern durch mehr Mitbestimmung!
Aber es geht natürlich nicht um „irgendeine“ Mitbestimmung, sondern um die gesetzlich festgeschriebene, Rechte und Möglichkeiten definierende betriebliche und Unternehmensmitbestimmung. Um Betriebsräte und Aufsichtsratsmandate. Es geht dabei auch um das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und um Tarife, die zwischen Sozialpartnern ausgehandelt werden. Dies ist doch alles selbstverständlich? Nein, dies sind erkämpfte Rechte und sie sind noch lange nicht in allen Unternehmen, die wir für die Transformation brauchen Selbstverständlichkeit. Um die Transformation erfolgreich zu gestalten, ökologisch und demokratisch, braucht es organisierte Belegschaften in mitbestimmten und tarifgebundenen Unternehmen.
Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis nehmen wir gerne alle gesellschaftlichen Kräfte mit. Die Vorschläge der Hans-Böckler-Stiftung zu einem neuen Betriebsverfassungsgesetz sind hier zu finden:
Eine Betriebsverfassung für die Zukunft – Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de)
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